18. Juli 2017

Die mit den Fischen tanzen

Ich entschuldige mich für diese Überschrift. Und möchte hier zwei Färöer-Romane vorstellen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der erste ist eine leichte „Roadnovel“, in der ein Isländer von außen auf den kleinen Nachbarn, den kleinen Bruder schaut. Das zweite ist ein Klassiker von den Färöern selbst, der 2015 beim wunderbaren Guggolz Verlag auf Deutsch erschienen ist.

Schafe im Schnee, Menschen im Regen

Es ist schon witzig, wenn einen Isländer an seinem Urlaubsort das schlechte, ständig wechselnde Wetter nervt, oder? So geschieht es einem jungen Mann, einem „erfahrenen Reisenden“, als er sich entschließt, den Februar auf den Färöer-Inseln zu verbringen. Er weiß selbst nicht so recht, was ihn da geritten hat. Als Aufgabe hat er sich gegeben, die Unterschiede zwischen Isländern und Färingern zu ermitteln. Gibt es überhaupt welche, oder ist es so wie mit der Landschaft?

Für einen Isländer ist das Betrachten der färöischen Landschaft vielleicht am ehesten so wie der Liebsten zu begegnen, nachdem sie sich gerade die Haare hat kurz schneiden lassen. Vertraut und doch wieder nicht.

Er hängt in seinem Zimmer herum, lauscht genervt den Death-Metal-Klängen seiner Mitbewohner und irrt ziellos durch die kleine Hauptstadt Tórshavn (gut 12.000 Einwohner).

Die zusammengedrängte Siedlung war dann doch farbenfroher als ich erwartet hatte. Jedoch kaum irgendetwas verwies darauf, dass sie sich im Ausland befand. Zumindest schienen hier alle in ihren Autos genauso verwundert auf einen Fußgänger zu gucken wie zu Hause.

Sein Blick auf Island hat sich in der letzten Zeit verändert. Aus dem gemütlichen Land ist nach der Finanzkrise 2008 ein ratloses Volk geworden, das seine Ursprünge verloren hat und trotz des Crash auch weiterhin nur nach Geld strebt.

Einige Jahre zuvor hatte ich – bei einem Würstchen am berühmtesten Hotdog-Stand der Stadt – herausgefunden, dass die meisten Reykjavíker so gehen, als eilten sie gerade zur Bank. Daher war es amüsant, bei einem neuerlichen Imbiss zu entdecken, dass die Menschen in Tórshavn sich bewegten, als wären sie schuldenfrei. Sie wirkten entspannter und frei von jedweder Überheblichkeit, tänzelten dabei sogar ein wenig.

Er fragt sich, ob er vielleicht ein Island der Vergangenheit vor sich sieht, wo die Menschen eben nicht dem Konsum verfallen sind und ohne zu klopfen in die niemals verschlossenen Häuser ihrer Nachbarn eintreten – und ob er sich danach sehnen sollte.

Es dauert, bis er neben einigen Isländern, die wegen der Krise zum Arbeiten auf die Färöer gegangen sind und dort im Fisch tätig sind oder als Straßenteerer, auch echte Färinger kennenlernt. Was die Verständigung angeht, springen sie zwischen Färöisch, Isländisch, Dänisch und Englisch.

Weil die Unterschiede zwischen beiden [Sprachen – Färöisch und Isländisch] so gering sind, käme es einem oft so vor, als würde man auf Isländisch irgendeinen Quatsch brabbeln und nicht in einer anderen Sprache sprechen.

Und:

Wenn ich versuchte, Gespräche zu belauschen, hatte ich immer den Eindruck, das Färöische zu verstehen, nur dass ich nicht deutlich genug gehört hätte, was die betreffende Person gerade gesagt hatte. Dazu fehlte immer nur ein ganz kleines bisschen.

Die färöischen Bekanntschaften weihen ihn schließlich in ihre Geheimnisse ein, die keine sind – Alltag, Beharrlichkeit, Zufriedenheit, Leben halt. Allerdings eines, das nicht so von der Sehnsucht nach Reisen geprägt ist wie das des Ich-Erzählers und tatsächlich auch nicht von der Sehnsucht nach dem großen Geld. Ein hilfreiches Aha-Erlebnis hat er am Ende nicht, aber genau das passt ja auch zu diesem Land, das ein bisschen wie Island ist und dann auch wieder nicht. „Und wer weiß, vielleicht komme ich ja gleich im nächsten Sommer wieder.“

Huldar Breiðfjörð: Schafe im Schnee. Ein Färöer-Roman, Aufbau 2013, 236 Seiten, übersetzt von Gisa Marehn


„In nichts mehr einen sinnvollen Zusammenhang“

Der zweite Roman ist einer der Schätze, die der Guggolz Verlag in den letzten Jahren gehoben hat. Vater und Sohn unterwegs erzählt vom alten Ketil, einem armen, alten Mann auf der färöischen Insel Vágar, der sich sein Leben lang mit erhobenem Haupte durchgeschlagen hat und das Beste auch noch aus einem Stück Treibholz macht. Er ist stur, arbeitsam, sparsam, war nie in der Schule und hat doch elf Kinder großgezogen. Als er aber, leicht angeheitert, für zweihundert Kronen Grindwalfleisch kauft, hat er das Gefühl, sich und seine Familie ins Unglück gestürzt zu haben. So viel Geld werden sie nie bezahlen können!

Zum Glück kommt der Amtmann, der die Zahlungen eintreiben soll, erst in einigen Monaten ins Dorf, sodass Ketil und seine Frau noch Zeit haben, etwas zu verdienen. Ketil geht auf Fischfang, jagt Eissturmvögel, erlegt einen Seehund und verkauft das Fell an den Pfarrer, kauft Wolle und strickt Pullover. Doch es ist nie genug, und am Schluss stehen sie vor ihrer Kuh und überlegen, ob sie auch ihren letzten, kostbaren Besitz verkaufen müssen.

Es ist eine traurige Geschichte, aber Ketil würde sich erschrocken abwenden, wenn er Mitleid in jemandes Augen sehen würde. Denn Ketil ist stolz, dass er im Leben immer allein zurechtgekommen ist, und das wird er nun im Greisenalter bestimmt nicht noch ändern. Ich würde lieber sterben als betteln gehen, sagt er einmal. Und er hat genau vor Augen, wie er nicht werden will: So wie die jungen Leute im Dorf! Selbst seine Söhne machen fröhlich Schulden, um sich ein schönes Haus zu kaufen, und gehen dann nicht einmal an der Sorge zugrunde, diese Schulden auch wieder abbezahlen zu müssen. (Was eine Parallele zum ersten Roman …) Die Schwiegertöchter laufen immer fein herausgeputzt herum und kommen dann doch bei den Alten vorbei, um ihnen Fisch abzubetteln. Oft fragt Ketil sich, was nur mit der Welt passiert – „ich finde in nichts mehr einen sinnvollen Zusammenhang.“

Der jüngste Sohn lebt noch bei ihnen, der 24-jährige Kálvur, der oft als dumm bezeichnet wird und deswegen schon so schüchtern geworden ist, dass er sich kaum noch unter Menschen traut, weil er Angst hat, dass sie über ihn lachen. Doch – so sind sie, die jungen Männer – die Nachbarstochter hat es ihm angetan, und tatsächlich lässt sie sich hin und wieder zu einer Schmusestunde mit ihm überreden. Dass Kálvur ihr danach gern ein großes Stück Grindwalfleisch für die Familie überlässt oder ihm verrät, wo sie letztes Mal so viel Fisch gefangen haben, nun, das ärgert nur seinen Vater. Schließlich bestehen die Eltern aber doch darauf, dass die beiden heiraten. Kálvur nimmt allen Mut zusammen, um beim Pfarrer vorzusprechen.

Der Nachbar (der Vater der schlauen Tochter) heißt Klávus und ist ebenso arm wie Ketil und seine Familie. Ihn hat dieses Leben allerdings nicht aufrichtig und gottesfürchtig werden lassen, im Gegenteil, er geht herum und stiehlt alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Ketil wird oft wütend auf ihn, aber im Grunde sieht er in ihm einen armen Kerl, dem er dann wider besseren Wissens doch einen Fisch zusteckt oder ein wenig Stroh überlässt.

Als Nebenfigur tritt außerdem eine (männliche) Klatschbase auf, die es wohl in jedem Dorf gibt und die auch immer wieder willkommen geheißen wird. Doch sobald sie zu weit geht, wird sie in ihre Schranken gewiesen. Und ein Altersgenosse von Ketil, der zu seinen Verwandten ziehen muss, aber flieht, als er erfährt, dass sie für ihn Unterstützung von der Gemeinde beantragt haben. Er kann nicht so spät im Leben noch anderen auf der Tasche liegen.

Gottvertrauen, Schicksalsergebenheit, Würde – wem das zu schwer klingt, dem sei gesagt, dass der Roman gleichzeitig von einem Humor durchzogen ist, der alle Düsternis aufhebt. Dabei macht sich der Autor keineswegs über seine Figuren lustig, sondern zeigt genau dadurch ihre Würde, die ihnen selbst das schwere Leben nicht nehmen kann. Auch die Kluft, die zwischen Alt und Jung durch die Gesellschaft zu gehen schein, wird immer wieder überbrückt, wenn sie sich doch gegenseitig helfen und unterstützen.

Im Nachwort weist Klaus Böldl darauf hin, dass man diesen Roman noch mehr bewundern muss, wenn man weiß, dass Heðin Brú einer der ersten Autoren überhaupt war, der auf Färöisch geschrieben hat, nachdem Jahrzehnte, Jahrhunderte lang das Dänische die einzige Schriftsprache auf den Inseln war. Auf den Färöern wurde Vater und Sohn unterwegs sogar zum „Buch des Jahrhunderts“ gewählt.

Heðin Brú: Vater und Sohn unterwegs, Guggolz 2015, 176 Seiten, übersetzt von Richard Kölbl

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