Greifvögel und Gesang
Als im März gerade Geschäfte und Restaurants und Tanzstudios und Kinos geschlossen hatten und die Polizei durch die Straßen fuhr und aus der Sicherheit ihres Streifenwagens zwei Menschen vom Sportplatz holte, die sich dort am Rand in die Sonne gesetzt hatten, da besuchte uns ein Sperber auf dem Balkongeländer, saß da mit seinen gelben Krallen, seinem gelben Schnabel und starrte uns durch die dreckige Scheibe in die Augen. Das geht aber schnell, sagte ich leise, dass die Natur sich die Stadt zurückholt. In diesem einen Moment, in dem er dort saß, wuchsen Gräser und Löwenzahn aus allen Spalten zwischen den Gehsteigplatten, reckten die Bäume die Stummel, die einmal Äste gewesen waren, bevor sie weichen mussten, um nicht jemandem die Fenster zu verdunkeln. In diesem einen Moment zogen Wölfe durch die Straße, Marder machten es sich unter für immer erkalteten Motorhauben gemütlich, Igel stöberten durch den Plastikmüll und wurden nur noch von Krähen verscheucht. Und während ich blinzelte, verschwand der Sperber wieder.
An Heiligabend hing an unserem Türknauf ein Papiertütchen mit Plätzchen und einem Gruß der Nachbarin, deren Weihnachtsbäckerei wir in den letzten Wochen durch die dünne Wand fast miterlebt hatten. Wenn ihr erwachsener Sohn zu Besuch ist, geht spätes Kochen und Backen mit lautem Singen einher, und manchmal halten wir Netflix an und lauschen. Die Plätzchen waren zart und vanillig, und ich musste weinen, weil ich meine eigene Familie im Norden nun schon über ein Jahr lang nicht gesehen, geschweige denn in die Arme geschlossen, mit ihnen Plätzchen geteilt habe.