Nach Süden, nach Norden
Im Rahmen einer zweiteiligen Master-Übung an der LMU hat die Gruppe 9/83 eine Website und ein ergänzendes Buch erstellt. „Gruppe 9/83“ wurde als Name gewählt, um 9 Student:innen aus der Amalienstraße 83 (wo sich das Institut für Nordische Philologie befindet) als Herausgeber zusammenzubringen. Ich war beim zweiten Teil im Wintersemester 2015/16 und somit vor allem an der Erstellung des Buchs beteiligt.
Im Sommersemester 2015 wurden bereits die Texte für die Website Skandinavier in München verfasst. Die Umsetzung auf Grundlage von Google Maps übernahm eine Münchner Webagentur. Hier finden sich – von Hans Christian Andersen bis Johan Vilhelm Snellman – Autoren, bildende Künstler und Dramatiker aus den skandinavischen Ländern, die zu ihren Lebzeiten wenige Stunden bis mehrere Jahre in München und Umgebung verbracht haben. Nicht immer war es einfach oder gar möglich, einen bestimmten Ort zu finden, an denen sich ein hüpfendes Standortfläggchen festmachen ließ. Hermann Bang beispielsweise war auf der Flucht vor der Polizei und besuchte Henrik Ibsen, verschwand jedoch schon nach wenigen Tagen wieder nach Wien. Ganz anders Ibsen selbst, der mit einigen Unterbrechungen zwischen 1875 und 1891 in München lebte und arbeitete. Auch ein paar zeitgenössische Künstler wurden aufgenommen, unter anderem der isländische Autor Hallgrímur Helgason, der hier in den 80ern zur Kunstakademie ging (und darüber erst kürzlich seinen seltsamen Roman Seekrank in München schrieb), sowie der Künstler Ólafur Elíasson mit seinen drei über die Stadt verteilten Kunstwerken.
Aus München in den Norden
Im darauf folgenden Wintersemester hatte Prof. Heitmann den Wunsch, das Projekt weiterzuverfolgen, und so kam die Idee auf, auch noch zu erforschen, welche Münchner Literaten eigentlich Verbindungen nach Skandinavien hatten. Weil sich dies auf einer Karte nicht mehr gut darstellen ließ, sollte nun ein Buch daraus werden, das im Rahmen der Münchner Nordischen Studien beim Herbert Utz Verlag publiziert werden würde.
Tatsächlich fanden sich so einige Münchner, die den Ruf des Nordens hörten: Prinzessin Therese von Bayern machte inkognito eine Forschungsreise bis zum Polarkreis und lästerte über Touristen, Rainer Maria Rilke begeisterte sich für die dänischen Dichter und den Philosophen Søren Kierkegaard. Später lernte er Ellen Key kennen und bereiste mit ihr Schweden. Alfred Andersch unternahm eine Reise nach Spitzbergen und dokumentierte in einem Film die schöne, aber auch gefährdete Natur des hohen Nordens.
Christian Morgenstern übersetzt Ibsen
Mein Interesse erweckte Christian Morgenstern, den ich eigentlich nur von seinen Galgenliedern kannte. Doch tatsächlich war er auch Übersetzer und übertrug Strindbergs Inferno aus dem Französischen. Daraufhin kam der S. Fischer Verlag auf ihn zu und bat ihn, auch Ibsen ins Deutsche zu bringen. Nicht weiter überraschend? Doch, denn Morgenstern konnte kein Norwegisch! Deshalb entschied er sich 1898 für einen Aufenthalt in Bergen und Kristiania. Er lernte die Sprache und traf sich regelmäßig mit Ibsen, der ihn „mit seinem schönen weißen Kopf“ ermutigte, kreativ und frei zu übersetzen, denn er selbst habe sich sprachlich gesehen ja auch nie an akademische Traditionen gehalten. Später erhielt Morgenstern noch den Auftrag, Knut Hamsun und Bjørnstjerne Bjørnson zu übersetzen. Er hatte allerdings oft das Gefühl, das Übersetzen würde ihn von seiner wahren Leidenschaft, dem Dichten, abhalten: „Ich möchte endlich frei sein und soll immer noch diese fremde Welt mit mir herumschleppen, der ich mich oft aufs bitterste feind fühle.“ Dennoch: Seine Arbeit wurde gelobt, und die Dichter dankten ihm persönlich. Ibsen schrieb: „Ich habe die Übersetzung sorgfältig durchgelesen und begreife nicht, wie Sie sie in so kurzer Zeit fertigbringen konnten. Und so vollkommen haben Sie jede einzelne Wendung nachgedichtet! Ich danke Ihnen recht aus meinem innersten Herzen!“
Klaus Mann im schwarzen Moorsee
Ganz anders gestaltete sich der Aufenthalt von Klaus Mann in Skandinavien. Schon 1932 hatte er sich für das Exil entschieden und reiste rastlos durch Europa, mit seiner Schwester Erika durch Skandinavien bis zum Nordkap. Mann schrieb Tagebuch und hielt all seine touristischen Beobachtungen fest. Doch die schlimme Lage in seiner Heimat schlich sich immer wieder in seine Gedanken und Aufzeichnungen. Finnland faszinierte ihn besonders – die hellen Nächte, die weite Einsamkeit, ein schwarzer Moorsee. Unglücklich machten ihn jedoch seine Gefühle für einen jungen Mann, den er bereits aus Paris kannte. In Finnland verbrachte er Zeit mit ihm und seiner Familie, musste jedoch bald erkennen, dass seine Gefühle nicht erwidert wurden. Diese Geschichte verarbeitete er nur zwei Jahre später in seinem Roman Flucht in den Norden. Und so zog er weiter. „Es ist ganz gleich, wo man ist“, sagt Protagonistin Johanna, „das machte wohl keinen Unterschied, den nächsten Tag würde man schon nicht mehr hier sein, ungewiß und beinah gleichgültig, wo.“
***
Website: Skandinavier in München
Buch: Gruppe 9/83 (Hgg.): Spuren. Skandinavier in München – Münchner in Skandinavien, Herbert Utz Verlag 2016