Wie man einen Hotelroman beendet (Spoiler)
Kennt ihr den Roman Hotel Savoy des großen Joseph Roth? Am Ende der Geschichte steht das namengebende Hotel in Flammen.
Kennt ihr Der Teufel von Mailand von Martin Suter? Am Ende des Romans explodiert darin ein Hotel in den Schweizer Bergen.
Ein wirklich durcheinanderes Tal
Und kennt ihr Durcheinandertal von Friedrich Dürrenmatt?
Ein gewisser Moses Melker will in einem Engadiner Hotel eine Erholungsstätte für Millionäre einrichten. Gleichzeitig hat sich dort aber Reichsgraf von Kücksen eingemietet, Mitglied des Syndikats, der im Hotel Mitverbrecher und Beute verstecken will. (Die Beute stammt übrigens aus den Häusern der erholungsbedürftigen Millionäre.)
Klingt verwirrend? Ist es auch. (Und wirklich nicht sein bestes Werk …) Darum soll es aber gar nicht gehen, sondern um die letzten Seiten des Romans:
Jenseits der kleinen Schlucht spähte unter dem Geäst einer Tanne unterhalb einer Schotterstraße Michael zum Kurhaus hinüber. Er hörte das Bimmeln der Feuerglocke, dann verstummte es jäh. … Nun sichtbar in der sternenklaren Nacht, rollte der Motorfeuerwagen in Stellung, wurden die Schläuche gelegt, an die Hydranten angeschlossen. Lautlos, nur Schatten, gerade noch auszumachen.
So beginnt das Finale, und dann fällt der ganze große Kasten den Flammen zum Opfer:
… eine Explosion erschütterte die Nacht, immer weitere Explosionen, eine Stichflamme schoß in den Himmel, die Sterne verschwanden, das ganze Kurhaus stand mit einem Mal in Flammen … aus dem Portal rannte der Hund mit brennendem Fell, wälzte sich am Boden, aus dem Portal stürzten Männer … im Innern immer wieder Explosionen … der Wald, der Himmel nahmen die Farbe der Hölle an, jemand vermochte sich zu befreien, lief mit lichterloh brennenden Kleidern den Bauern entgegen, einer von ihnen schlug mit der Axt zu, der Mann stürzte zu Boden, immer noch in Flammen … und die Dependance, von der Feuerglut erfaßt, die sie durch den unterirdischen Verbindungsang ansog, loderte auf, eine einzige Flamme. Nun begann auch der Wald zu brennen, der Föhnsturm hatte alles ausgetrocknet, das Feuer fraß den Wald. Die Bauern wichen zurück. Irgendwo war der Schulmeister zu hören, hinter den Flammen oder schon in den Flammen … Der Westturm fiel in sich zusammen. Auf einer Terrasse des Kurhausdaches schien von Kücksen, Oskar und Edgar um Hilfe.
Am Ende frisst das Feuer tatsächlich das ganze Dorf und seine Bewohner:innen, nur die 14-jährige Elsi, der man übel mitgespielt hatte, und ihr Hund überleben.
Sie lächelte. Weihnachten, flüsterte sie. Das Kind hüpfte vor Freude in ihrem Bauch.
Damit verschwindet auch das seltsame Durcheinander aus dem Tal.
Das Waldhaus Vulpera als Vorbild
Was jedoch seltsam bleibt: Dürrenmatt hatte ein Vorbild für sein Hotel, das Waldhaus Vulpera im Unterengadin. Es wurde 1897 eröffnet, ein richtiges Grandhotel mit eigenem „Strandbad“ und Golfclub.
Max Frisch war dort zu Gast, genauso wie Erich Fromm, Theodor Heuss und Wilhelmina, die Königin der Niederlanden. (Und ja, sie ist die einzige Frau auf der Liste der berühmten Gäste.)
Friedrich Dürrenmatt verbrachte seit 1957 sogar regelmäßig Zeit dort und kannte das Haus gut, wie man an der Erwähnung des unterirdischen Durchgangs zur Dependance erkennt. An einigen seiner früheren Werke hat er bestimmt auch in seinen Urlauben geschrieben.
Es brennt!
Sechs Wochen nach Romanveröffentlichung, am 27. Mai 1989, brannte das Waldhaus Vulpera tatsächlich ab. Am ganzen frühen Morgen sah ein Jäger beim Hörnersammeln Rauch und benachrichtigte die Feuerwehr, die aus fünf Männern und einem Haspelwagen bestand. Später bekamen sie Unterstützung aus Scuol und den nebenliegenden Dörfern, aber das Gebäude war nicht mehr zu retten. Und während sie noch versuchten, ein Übergreifen auf die angrenzenden Häuser zu verhindern, stürzte die große Kuppel des Hotels ein.
Anders als in Dürrenmatts Roman kamen glücklicherweise keine Menschen zu Schaden. Der Schriftsteller ist, schon schwer herzkrank, nach dem Brand noch einmal zurückgekehrt und mit seiner Frau in der einsturzgefährdeten Ruine herumgeklettert. Das Waldhaus habe seinen Dienst getan, hat er gesagt.
Aufgebaut wurde das Hotel tatsächlich nicht mehr. Schon bald wurde festgestellt, dass es sich um Brandstiftung handelte, aber bis heute weiß niemand, wer der Täter war.
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Und was das alles mit meinem Hotel in den Wolken zu tun hat? Das könnt ihr hier selbst herausfinden!
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Hotellesetipps
Romane:
Vicky Baum: Menschen im Hotel. Kiwi 2007.
Friedrich Dürrenmatt: Durcheinandertal. Diogenes 1989.
Joseph Roth: Hotel Savoy. Kiwi 2010.
Ali Smith: Im Hotel. btb 2015.
Martin Suter: Der Teufel von Mailand. Diogenes 2007.
Hotelgeschichten:
Urs Kienberger et al.: 111 Jahre Hotel Waldhaus Sils. Geschichte und Geschichten zu einem unvernünftigen Familientraum. Scheidegger & Spiess 2019.
Peder Plaz et al.: Hotel Piz Mitgel. Geschichte & Geschichten. Edition Somedia 2022.
Giaco Schiesser (Hrsg.): Kurhaus Bergün. Der Traum vom Grand Hotel. Hier und Jetzt 2021.
Cordula Seger: Chesa sur l’en. Biografie eines Hauses. AS Verlag 2020.
Jochen Philipp Ziegelmann: Waldhaus Vulpera. Geheimnisse eines Grandhotels. BoD 2020.