13. September 2017

Autorinnenzeit – Karen Blixen

– Wie Karen Blixen ihre eigenen Erzählungen übersetzte –

Die meisten hierzulande kennen Karen Blixen wohl eher als Tania Blixen – und das durch ihren Roman Jenseits von Afrika, der als Spielfilm mit Meryl Streep und Robert Redford in die Annalen des großen Kitschkinos der 1980er eingegangen ist. In den USA war sie wiederum als Isak Dinesen bekannt. Das Spiel mit Pseudonymen, Masken und Identitäten war für sie als Schriftstellerin ganz wichtig, aber hier soll es darum gehen, dass sie ihre eigenen Texte übersetzte – vom Dänischen ins Englische und vom Englischen ins Dänische.

Blixen wuchs nicht zweisprachig auf, sondern in einem rein dänischsprachigen Umfeld. Mit Ende zwanzig zog sie 1913 mit ihrem Ehemann Bror nach Kenia, um dort eine Kaffeeplantage zu verwalten. Sie blieb siebzehn Jahre und hatte neben den afrikanischen Einwohnern, mit denen sie meist Suaheli sprach, vor allem zu anderen Kolonialisten Kontakt, die in der Mehrheit aus der britischen Oberschicht stammten. Auch Denys Finch-Hatton (das ist der, der von Robert Redford gespielt wird) kam aus England. Während dieser Zeit war Englisch also ihre Hauptverkehrssprache. Die ganze Fülle des Englischen, das gesamte kulturelle Gedächtnis, wird sich ihr als Nicht-Muttersprachlerin aber nie ganz erschlossen haben, so wie es uns allen mit Fremdsprachen geht, die wir in späteren Jahren erlernen.

Nicht-Muttersprachler sind jedoch möglicherweise weniger in den Konventionen der Sprache gefangen und können kreativer, innovativer mit ihr umgehen. Dass die britischen und amerikanischen Verleger Blixens Abweichungen vom Idiomatischen nicht grundsätzlich korrigierten, weist wohl darauf hin, dass sie ihre literarische Stimme wertschätzten und als verkaufsfördernd ansahen. Viele Kritikerinnen und Leserinnen bezeichneten Blixens Englisch dann auch immer wieder als originell, spannend oder exotisch, aber ist es nicht meist so, dass man, wenn man im Ausland für seine guten Sprachkenntnisse gelobt wird, gerade damit gesagt bekommt, dass man eben nicht spricht wie Muttersprachler?

Was Blixens Übersetzungen angeht, kommt noch dazu, dass sie damit erst anfing, als sie schon längst wieder nach Dänemark zurückgekehrt war. Dennoch, so schrieb sie einmal einem Bekannten, gäbe es eine innere Kraft in ihr, die sich weigere, auf Dänisch zu schreiben. Eine so selbstbewusste Schriftstellerin wie Blixen, auch das muss man bedenken, hätte sich vermutlich ohnehin nie mit Standardenglisch zufrieden gegeben, sondern der Sprache immer ihren eigenen Stempel aufgedrückt.

Original und Interpretation

Blixen veröffentlichte ihren ersten Geschichtenband Seven Gothic Tales 1934 im englischsprachigen Ausland. Ein Jahr später wurde er in Dänemark publiziert. Im Vorwort zu den Syv Fantastiske Fortællinger schrieb die Autorin, sie wolle, dass dieses Buch in ihrem eigenen Land wie ein original dänisches Buch rezipiert werden solle, nicht wie eine Übersetzung, so gut sie auch sein mag. Bevor sie die Übersetzung selbst in die Hand genommen hatte, war sie mit den Versuchen eines dänischen Dichters und eines dänischen Autoren nicht zufrieden gewesen.

Es geschieht vermutlich nicht selten, dass Schriftstellerinnen, die eine Übersetzung ihres eigenen Werks in einer Sprache lesen, derer sie selbst mächtig sind, Entscheidungen bemängeln und die Interpretation der Übersetzer als falsch empfinden. Jede Übersetzung ist schließlich eine Interpretation. Weil es sich zudem um Blixens Muttersprache handelte, fiel es ihr bestimmt noch schwerer, ihr Werk loszulassen, und sie wollte ihren eigenen Landleuten mehr bieten, als „nur“ eine Übersetzung, in der so viel verloren gehen kann.

In meiner Abschlussarbeit an der LMU habe ich anhand einer Erzählung aus einem anderen Geschichtenband untersucht, inwieweit es sich bei Blixens Selbstübersetzung wirklich um ein zweites Original handelt und Blixen dem dänischen Publikum etwas Anderes, etwas Besseres oder Schlechteres bietet als das, was eine sogenannte Fremdübersetzerin hätte produzieren können.

Kritische Distanz

Bei Selbstübersetzungen verschwimmen die Grenzen zwischen Primär- und Sekundärtext: Die Autorin darf viel stärker, ja geradezu rücksichtslos in ihren Text eingreifen als eine Fremdübersetzerin – sie kann überarbeiten statt übersetzen. Sie schreibt ihr Werk fort und interpretiert es möglicherweise ganz neu, nutzt poetische Effekte, die es in der ursprünglichen Sprache gar nicht gab. Blixen sprach von „gendigtning“, also „Nachdichtung“. Das klingt verlockend, aber es gibt auch Gegenstimmen, die sagen, dass niemand seine eigenen Texte übersetzen sollte, denn es fehle die kritische Distanz.

Wenn es um Selbstübersetzungen geht, fallen zuallererst immer die Namen Samuel Beckett und Vladimir Nabokov, eventuell noch gefolgt von Milan Kundera oder Joseph Conrad. Karen Blixen wird manchmal am Rande erwähnt, was aber auch damit zusammenhängen mag, dass es viel mehr Literaturwissenschaftlerinnen gibt, die Englisch, Französisch oder Russisch verstehen als Dänisch.

Babette’s Feast – das englische Original

Die von mir untersuchte Erzählung stammt aus Anecdotes of Destiny oder Skæbneanekdoter und heißt Babette’s Feast oder Babettes Gæstebud, und gehört wohl zu ihren bekanntesten, denn auch sie wurde verfilmt und erhielt 1987 einen Oscar als bester fremdsprachiger Film.

Das englische Original hat eine auf den ersten Blick recht einfach gehalten Syntax, aber durch (bewusste? unbewusste?) Veränderungen an der typisch englischen Satzstruktur – zum Beispiel durch Inversionen oder eine späte Positionierung der Verben im Satz – schafft Blixen eine Art Entrücktheit, einen archaisierenden Ton, der gut zum Inhalt der Erzählung passt. Die Sprachebene ist recht hoch, aber sehr klar. Schwierig zu erschließende Metaphern oder Vergleiche sind nicht zu finden, doch zahlreiche ursprünglich aus dem Französischen entlehnte Wörter sind ebenso auffällig wie der eigentlich fast ausgestorbene Konjunktiv, selbst im Dialog. Diese Eigenschaften führen dazu, dass Blixen ihre Geschichte sprachlich noch weiter in die Vergangenheit zurücksetzt als es den Zeitangaben (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) entspricht. So entsteht eine Art mythisch-märchenhafte Zeit oder Zeitlosigkeit.

Blixens englischer Verleger schrieb einmal, dass Blixens Englisch größtenteils auf der King-James-Version der Bibel sowie auf Shakespeare, Shelley und anderen britischen Klassikern beruhe. Nicht nur sprachlich schwingt diese religiöse Ebene mit, auch ganz konkrete Bibelzitate und -referenzen sind zu finden.

Ein großes Thema in der Blixen-Übersetzungsforschung sind außerdem Interferenzen – aus dem Dänischen, wenn sie auf Englisch schreibt (Danismen), und aus dem Englischen, wenn sie auf Dänisch schreibt (Anglizismen). Das heißt, dass die Autorin beim Schreiben durch die jeweils andere Sprache beeinflusst wird, was häufig genug beim allgemeinen Sprechen oder Schreiben geschieht, doch die Gefahr ist beim Übersetzen durch den vorliegenden Text wohl umso größer. Bei Blixens Danismen in der englischen Version ist es meist ein schmaler Grad: Sind es wirklich gleich Fehler oder nur ungewöhnliche Konstruktionen, die grammatikalisch aber möglich sind und sogar zu einem innovativen Gebrauch der Sprache führen?

Babettes Gæstebud – eine Fremdübersetzung ins Dänische

Bevor Blixen sich selbst an die Übersetzung ihrer englischen Erzählungen für die Skæbneanekdoter setzte, gab es 1952 eine Einzelveröffentlichung von Babettes Gæstebud, die wiederum auf einer noch früheren Version beruhte, die Blixen im hochbürgerlichen Ladies’s Home Journal veröffentlicht hatte. Der Übersetzer war Jørgen Claudi, Programmchef bei Danmarks Radio, wo er in den 1950ern zahlreiche Lesungen von Blixens Texten organisierte. Er war neben Blixens langjähriger Assistentin Clara Svendsen der einzige offizielle Übersetzer der Autorin ins Dänische.

Claudi hat mithilfe einer leicht archaisierenden Lexik und der Beibehaltung der klaren Syntax einen dem Englischen relativ stark entsprechenden Text geschaffen. Sein Dänisch wirkt bei Weitem nicht so exotisch wie Blixens Englisch, sodass er genau das erreicht, was von Übersetzungen im Allgemeinen erwartet wird: Sie sind positiv unauffällig und leicht zugänglich. Interessant ist, dass er inhaltlich einige Bibelreferenzen hinzugefügt hat, die Blixen später in ihrer eigenen Übersetzung übernehmen wird. Auch sonst wird sie sich oft an seiner Version orientieren – ihrer kritischen Einstellung zum Thema Fremdübersetzen zum Trotz.

Babettes Gæstebud – Blixens Selbstübersetzung ins Dänische

Zwei Wörter, die Clara Svendsen sich notierte, beschreiben wunderbar, was Blixen mit ihrer Selbstübersetzung vorhatte: Sie wolle Babette’s Feast „noget vildere“ machen – etwas wilder. Da sie die ursprüngliche Version acht Jahre zuvor geschrieben hatte, ist es gut vorstellbar, dass ihr der eigene Text bereits recht fremd geworden war und sie beim Übertragen in die Muttersprache bemerkte, dass noch viel mehr in diesem Text steckte, was sie im Englischen nicht so hatte ausdrücken können.

Was die Anglizismen angeht, so gilt das gleiche wie bei den Danismen: Sie sind da, sie sind auffällig, aber auch hier stellt sich die Frage, ob sie als Fehler bezeichnet werden können. In anderen Erzählungen sind sie übrigens weit deutlich, was daran liegen kann, dass Blixen sich so eng an Claudis Version orientiert hat.

Abgesehen von einigen „Verschlimmbesserungen“ (unmotivierte Wortwiederholungen, kleine inhaltliche Fehler) ist das Dänische deutlich ausdrucksstärker, konnotationsstärker und reicher und beweist genau das, was oben bereits erwähnt wurde: Englisch war nicht Blixens Muttersprache, und sie musste sich notgedrungen auf das stützen, was sie kannte und konnte. Im Dänischen konnte sie sich erlauben, viel breiter zu werden, ihr Wortschatz war viel größer. Dabei führen interessanterweise schon kleinste Änderungen zu subtilen Verschiebungen. Es gelingt ihr, gewissermaßen lexikalisch rote Fäden durch den Text zu ziehen und ihn somit konsequenter zu komponieren.

Ein eher seltenes, aber sehr spannendes Phänomen also: Das Original ist schwächer als die Übersetzung, die doch üblicherweise immer den Zwängen des Ausgangstexts unterliegt. Die Übersetzung liest sich viel eher wie das Original einer freien, sprachschöpferischen Autorin.

Eine Mini-Blixen

Sollten nun also alle englischsprachigen Leserinnen und Leser enttäuscht sein, dass sie eine weniger gute Blixen zu lesen bekommen? Ich glaube, hier kann man doch noch einmal auf die Sache mit den Namen zu sprechen kommen: Die englischsprachigen Leser bekommen Isak Dinesen zu lesen, die definitiv eine andere Autorin ist als die dänische Karen Blixen. Leonard Forster schrieb einmal über Rilke, der in seinen späteren Jahren auch auf Französisch gedichtet hat, dass die französischen Leserinnen niemals diesen deutschen Dichter voller Spannkraft und Elan kennenlernen würden, sondern immer nur einen „Miniatur-Rilke, ja, einen Mini-Rilke“. Möglicherweise lässt sich so etwas auch über Blixens englische Texte sagen – Leserinnen der englischen Version hätten es entsprechend mit einer Mini-Blixen zu tun, die nicht ihr ganzes literarisches und sprachliches Temperament ausleben kann.

Blixen hat die Übertragung ins Dänische dafür genutzt, ihre Erzählungen auszuarbeiten, zu intensivieren und darin versteckte Möglichkeiten zu entdecken. In gewisser Weise erklärt sie sich ihren englischen Text selbst, und wir dürfen ihr dabei zuhören.

Babettes Fest – eine deutsche Übersetzung?

Für eine Übersetzung in eine dritte Sprache mag es im ersten Moment sinnvoll erscheinen, beide Texte als Vorlage zu nutzen und satz- oder abschnittsweise vorzugehen, um zu entscheiden, welche Version gelungener ist. Man könnte auch erst die englische Version übersetzen und diesen Text dann mit der dänischen Version so überarbeiten, wie Blixen es mit ihrem eigenen Text gemacht hat. Doch das würde wohl beiden Fassungen nicht gerecht werden.

Für eine fundierte Ausgabe von Blixens Werk in Deutschland wäre es deshalb optimal (man wird doch wohl noch träumen dürfen), die englische, die dänische und die deutsche Version parallel abzudrucken. Auf diese Weise würde sich zeigen, wie die beiden Originale sich ergänzen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sie haben. Welchen man dann als Ausgangstext für die Übersetzung nimmt, ist wohl die Entscheidung des Verlags, eine Entscheidung für das eher schlichte Englisch oder das üppigere Dänisch. Die einzige erhältliche deutsche Übersetzung von W. E. Süskind hat übrigens das Englische als Ausgangstext.

Quellenangaben

Allen, die bis hierhin durchgehalten haben, schicke ich gern meine Abschlussarbeit zu, in der ich mich vielen Beispielen gearbeitet habe und in der sich natürlich auch alle Quellenangaben finden, die ich aus Gründen der Lesbarkeit ausgespart habe.