25. Oktober 2017

Übers Schreiben schreiben

Wenn man einmal nicht mehr weiß, wie sich noch gut prokrastinieren lässt, kommt von irgendwo ein Buch übers Schreiben her. Die wachsen überall und duften betörend, halten aber oft nicht, was der Geruch verspricht. (Was sie wohl alle so über blumige Metaphern sagen?)

Ich habe in den letzten Monaten einige dieser freundlichen Prokrastinationshelferlein gelesen. Einige haben mich geärgert, zum Beispiel Letter to a Young Writer von Colum McCann, der auf 166 Seiten schön klingende Motivationsplattitüden von sich gibt, oder Schreiben ist nichts für Feiglinge von Hans Peter Roentgen, das vor Schreibfehlern nur so strotzt, dass ich als Übersetzerin und Lektorin (sprich: Korinthenkackerin) mich kaum noch auf den Inhalt konzentrieren kann.

Von einigen anderen – den guten – möchte ich hier berichten.

1. Stephen King: On Writing. A Memoir of the Craft

Einer der Klassiker. Zurecht. Wie der Untertitel schon sagt, ist es eine Mischung aus Autobiografie und Schreibtipps. Auch letztere eng mit seinen persönlichen Erfahrungen und Vorlieben verbunden, meist beispielhaft mit Anekdoten unterlegt. Am verblüffendsten für mich ist die Tatsache, dass King sagt, er plotte nicht: „I believe plotting and the spontaneity of real creation aren’t compatible. […] my basic belief about the making of stories is that they pretty much make themselves.“ Außerdem hat er aus zwei Gründen keine hohe Meinung von Schreibseminaren. Erstens ist er der Überzeugung, dass man seine erste Version unbedingt hinter geschlossenen Türen schreiben müsse – frühestens auf die zweite Version dürfe dann jemand anders als er selbst einen Blick werfen. Zweitens:

I don’t believe writers can be made, either by circumstances or by self-will […]. The equipment comes with the original package. Yet it is by no means unusual equipment; I believe large numbers of people have at least some talent as writers and storytellers, and that those talents can be strengthened and sharpened.

Für diejenigen hat er wohl On Writing geschrieben. Er behandelt unter anderem grammatikalische Grundlagen, Beschreibungen und Hintergrundgeschichte (das berühmt-berüchtigte Show, don’t tell), Dialoge, Figurenzeichnung und Symbole. All das nicht besonders detailliert, aber in einem lockeren, humorvollen Stil und mit einem Selbstvertrauen, das man als so berühmter Schriftsteller wohl haben kann. (Ich habe bislang übrigens einen einzigen Roman von ihm gelesen und kann mich nur noch daran erinnern, dass mir beinahe vor Schreck das Buch aus der Hand geflogen ist, als mir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter gelegt hat …) (Spricht dafür, dass er was richtig macht, oder?)

Stephen King: On Writing: A Memoir of the Craft, Scribner 2000.
Stephen King: Das Leben und das Schreiben: Memoiren, Heyne 2011. Übersetzt von Andrea Fischer.

2. Anne Lamott: bird by bird

Anne Lamott ist der Klassenclown dieser Riege hier. Aber einer von den Clowns, hinter deren Albernheiten Weisheit aufblitzt. Man lacht beim Lesen, man nickt, man unterstreicht, und dann lacht man wieder. Anne Lamott legt wert darauf, dass es gar nicht wirklich ums Veröffentlichen geht, sondern ums Schreiben – darum, seine ganze Seele auf Papier zu bringen und vor allem sich selbst glücklich zu machen. Gerade anfangs geht sie auch recht konkret darauf ein, wie Plot und Figuren zueinander stehen, dass Dialoge nicht dasselbe sind wie unsere alltäglichen Unterhaltungen – „you’re translating the sound and rhythm of what a character says into words“ – und dass „shitty first drafts“ nichts sind, wofür man sich schämen sollte. Außer jemand bekommt sie versehentlich zu lesen. Sie flicht immer wieder eigene Erlebnisse ein, die ihr dabei geholfen haben, eine Idee zu verfolgen oder eine Schreibblockade zu überwinden (die es ihrer Meinung nach so gar nicht gibt). Das sind meist herzerwärmende (kitschfreie) Anekdoten über ihren kleinen Sohn oder kranke Freunde. Und so hat man das Gefühl, ihr sehr nahe zu kommen und sich etwas von ihrer positiven Einstellung abzuschauen.

We are given a shot at dancing with, or at least clapping alog with it, the absurdity of life, instead of being squashed by it over and over again. It’s like singing on a boat during a terrible storm at sea. You can’t stop the raging storm, but singing can change the hearts and spirits of the poeple who are together on that ship.

Anne Lamott: Bird by Bird. Some Instructions on Writing and Life, Anchor Books 1994.
Anne Lamott: Bird by Bird – Wort für Wort. Anleitung zum Schreiben und Leben als Schriftsteller, Autorenhaus-Verlag 2004. Übersetzt von Kerstin Winter.

3. Juli Zeh: Treideln

Auch Juli Zehs „Poetik“ ist enorm humorvoll, aber es ist ein bissigerer Humor als der von Anne Lamott. Ich setze die Poetik in Anführungszeichen, denn genau darum geht es Juli Zeh: „Man ist entweder Autor oder Poetikbesitzer“, behauptet sie am Anfang und: „Poetik ist, wenn man eine Schreibkrise hat. Wenn man mangels Stoff zum Schreiben am liebsten übers Schreiben schreibt.“ Doch trotz dieser Einschränkung entwickelt sie in diesem in Briefform verfassten Werk ihre Gedanken darüber, was Schreiben für sie bedeutet. Interessant ist, dass trotz all der inneren und äußeren Schwierigkeiten deutlich wird, wie sehr sie es liebt:

Man bekommt ein paar beschleunigte Herzschläge, ein Kribbeln in den Eingeweiden und ein Lächeln, das sich ganz von selbst über das Gesicht breitet. Man hat dem Unaussprechlichen ein Schnippchen geschlagen.

Der Titel des Buchs bezieht sich übrigens auf eine Figur, die sie erfindet, um ihren Schöpfungsprozess beispielhaft darzustellen. Die Figur nennt sich Treidel und muss erstmal eine Weile herumtreideln, bevor sie nach und nach Gestalt annimmt. Juli Zeh stellt ihm eine Alice an die Seite, und so entsteht aus zwei Ideen, zwei Figuren eine Geschichte.

Sie spricht über das Konzept der Dramaturgie, das vor allem Jungautor*innen an Schreibschulen oft abschreckt und das komplette Gegenteil von Kreativität zu sein scheint, aber eigentlich nur zeigt, wie wir Menschen immer wieder anhand der gleichen Grundlagen Geschichten erzählen können, wollen und müssen. (Dazu ebenfalls lesenswert: Into the Woods von John Yorke, was ich hier nicht vorstellen werde.)

Auch die Autorenintention beleuchtet Juli Zeh. Das kennen wir alle aus der Schule oder dem Literaturstudium: „Was will uns der Autor damit sagen?“ Doch das habe nichts mit dem zu tun, was sie als Autorin mache:

Die Vorstellung, ich könnte als „Sender“ Geschosse auf einen wehrlosen „Empfänger“ abschießen und das Ganze sei dann Literatur, führt zum sofortigen Wunsch nach Kapitulation.

Außerdem kommt sie darauf zu sprechen, wie sie immer wieder in den deutschen Medien beschrieben und verurteilt wird – als die Frau, die zu oft ihre Meinung kundtut und sich zu politischen Themen äußert, während gleichzeitig ihre Romane verrissen werden. Würde sie auch so beurteilt werden, wenn sie ein Mann wäre? Würde je ein Journalist einen männlichen Autor fragen: Herr X, sind Sie ein starker Mann? Ich jedenfalls bewundere sie dafür, dass sie so eine „starke Frau“ ist, eine, die etwas zu sagen hat und sich davon auch nicht abbringen lässt. (Und dafür, ehrlich gesagt, noch mehr als für ihre Romane.)

Juli Zeh: Treideln, btb 2015.

4. Mario Vargas Llosa: Briefe an einen jungen Schriftsteller

Während McCann in seinen Briefen also recht inhaltslos vor sich hin schwurbelt, geht es bei Vargas Llosa ans Eingemachte. Er nimmt seinen Brieffreund ernst, sehr ernst und analysiert anhand von Beispielen aus der Weltliteratur, welche Rolle Stil, Erzähler, Realitätsebenen, Raum und Perspektivwechsel dabei spielen, einen funktionierenden Roman zu schaffen.

Vargas Llosa prägt etwas merkwürdige Begriffe wie den aktiven Krater und die kommunizierenden Röhren, aber letztendlich ergeben seine Erläuterungen dann auch wieder Sinn. Einen Plauderton wie bei King findet man hier nicht; der große Schriftsteller bleibt bei seinen Ausführungen im Hintergrund, ist aber mit seinen scharfen Schlussfolgerungen trotzdem jederzeit präsent. Welch eine Ehre es wäre, tatsächlich solche Briefe von einem solch großen Schriftsteller zu erhalten.

Der Schriftsteller, der nicht über das schreibt, was ihn in seinem geheimsten Inneren bewegt, sondern sich die Themen eiskalt und rational wählt, weil er sie für erfolgversprechend hält, ist nicht authentisch und wird deshalb wahrscheinlich kein guter Schriftsteller sein – auch wenn er Erfolg hat […]. Ich glaube, es ist sehr schwer, kreativ zu sein und neue Realitäten zu erschaffen, wenn man nicht von den eigenen Gespenstern und Dämonen zehrt und sich von ihnen ermutigen lässt.

Mario Vargas Llosa: Cartas a un joven novelista, Editorial Planeta 1997.
Mario Vargas Llosa: Briefe an einen jungen Schriftsteller, Suhrkamp 2004. Übersetzt von Clementine Kügler.

5. James Wood: How Fiction Works

Dieses Buch ist tatsächlich eher ein Anti-Motivationsbuch. Nicht falsch verstehen: Es ist großartig; ich würde sogar sagen, von allen vorgestellten ist es mein Lieblingsbuch. Aber eben weil es auf so interessante, detaillierte Weise die Hochliteratur der (hauptsächlich englischsprachigen) Welt analysiert, hat man nach dem Lesen das Gefühl, dass man nie im Leben auch nur einen so perfekten Satz hinbekommen würde wie die Schriftsteller*innen, die James Wood auseinandernimmt.

Wie kann sich mit einem kleinen Adjektiv die gesamte Perspektive ändern? Welches Register ist angemessen? Welche Details scheinen überflüssig, sind aber trotzdem wichtig? Wie bleibt man nah an der Figur, und wieso ist es manchmal besser, sich von ihr zu entfernen? Solche Fragen werden hier beantwortet – und auch die, weshalb Wood immer wieder zu Flaubert zurückkommt, wenn es um den modernen Roman geht.

Flaubert war übrigens einer, der stundenlang an einem Satz feilen konnte, bis er endlich so klang, wie er sollte.

We have to read musically, testing the precision and rhyme of a sentence, listening for the almost inaudile rustle of historical assoication clinging to the hems of modern words, attending to patterns, repetitions, echoes, deciding why a metaphor is successful and another is not, judging how the perfect placement of the right verb or adjective seals a sentence with mathematical finality.

Und das gilt nicht nur fürs Lesen, sondern auch fürs Schreiben. Als kleiner Schreiberling darf man nur nicht verzagen, sondern sollte sich diese perfekten Sätze wohl als Vorbild nehmen.

Kleiner Wermutstropfen: Die Bibliografie am Ende des Buches, in der Wood alle zitierten Werke aufführt, ist viel zu stark männlich dominiert. Von insgesamt 94 Einträgen sind genau 10 von Frauen.

James Wood: How Fiction Works, Vintage Books 2009.
James Wood: Die Kunst des Erzählens, Rowohlt 2013. Übersetzt von Imma Klemm.


Bei Signature gibt es gerade eine Liste mit „28 Best Books on Writing“. Ich werde meine Liste hier nach und nach auch noch ergänzen.